Gorkhi-Terelj-Nationalpark - Auf dünnem Eis und hoch hinaus

Ich war noch nicht einmal wirklich in Ulaanbaatar angekommen, da bot sich schon die Gelegenheit, die Stadt wieder zu verlassen, ein kleiner Ausflug in den nahe gelegenen Gorkhi-Terelj-Nationalpark. In den meisten Reiseführern wird empfohlen, sich organisierten Gruppen anzuschließen oder sich einen privaten Führer und einen Fahrer zu suchen. Aber das war mir zu teuer und es geht auch anders! Also nahmen wir den öffentlichen Bus, der einmal am Tag nach Terelj fährt. Unsere Rezeptionistin aus dem Hostel war so nett und organisierte uns eine Unterkunft bei einer Nomadenfamilie.

Aussicht von unserem Lager
Aussicht von unserem Lager

Zurück zum einfachen Leben

Wir wurden von der Bushaltestelle beim "Turtle Rock", den man in Dunkelheit nur erahnen konnte, abgeholt. Unser Heim für die nächsten drei Nächte war eine traditionelle mongolische Jurte, genannt Ger. Ein Ger besteht aus einem Scherengitter, Holzstäben und mehreren Bahnen Filz, die von einem weißem Leinentuch überspannt sind. Geheizt wird es mit einem Ofen, der in unserem Fall mit Holz und Kohle befeuert wurde. Fließendes Wasser gab es nicht, aber eine nackte Glühbirne und zwei Steckdosen. Die Tür eines Gers zeigt übrigens immer nach Süden. Das abenteuerlichste waren für mich die Toiletten. Denn obwohl ich Plumpsklos mittlerweile gewöhnt bin, war diese Türkonstruktion etwas gewöhnungsbedürftig. Man hatte dort noch mehr das Gefühl draußen zu hocken, dafür konnte man nachts die Sterne sehen...

Essen gab es in dem Ger der Familie. Vor mir wurde eine große Metallschüssel mit Fleisch am Knochen und Innereien abgestellt, aus der alle gemeinsam essen. Etwas verschüchtert ließ ich mir das erste Stück Fleisch noch von unserem Gastgeber herunter schneiden, um es wie er mit den Fingern zu essen. Danach griff ich beherzt selbst zum Messer und schnitt mir ein Stück vom Knochen. Es war faszinierend wie diese gemeinsame Mahlzeit ein Gemeinschaftsgefühl entstehen ließ, obwohl wir uns kaum verständigen konnten. Nur unsere Gastgeberin sprach ein paar Worte Englisch, mit allen anderen lief die Kommunikation, wie ich es schon gewöhnt war, über Zeichensprache.

Es gibt viele Verhaltensregeln in einem Ger zu beachten, die auf Traditionen und Aberglauben beruhen. Man sollte beim Betreten nie auf die Schwelle treten und als Gast nimmt man normalerweise auf der linken Seite Platz. Im nördlichen Teil befinden sich die wertvolleren Besitztümer, wie zum Beispiel der (buddhistische) Hausaltar und heutzutage auch oft der Fernseher. Die Hausherrin platzierte bei unserer Ankunft gleich einen Geldschein im Altar. Ich nehme an als Opfergabe. Man betritt auch nicht den Bereich zwischen den Pfosten oder lehnt sich an sie. (Irgendwie macht das Sinn, da sie das Dachrad stützen.) Feuer hat eine besondere Bedeutung für die Mongolen, es darf nicht ausgetreten werden. Man sollte auch nicht seine Schuhsohlen in Richtung des Feuers strecken, das erzürnt die Götter, obwohl es verlockend ist, sich seine Füße am Ofen zu wärmen.

In unserem Ger befanden sich nur Betten, ein kleiner Tisch und ein Ofen. Bevor wir schlafen gingen wurde nochmal ordentlich Kohle nachgelegt. Die reicht nur nicht für die ganze Nacht, in den frühen Morgenstunden wurde ich immer wach, weil mir kalt wurde. Meine Fleecejacke schaffte zwar Abhilfe, aber ich stand meistens trotzdem irgendwann auf, um mit dem Holz ein neues Feuer zu entfachen. In der letzten Nacht wurde es sogar so kalt, dass ich meinen Atem sehen konnte.

Die Schildkröte und der lesende Mönch

Am nächsten Morgen brachen wir auf, um den Park zu erkunden. Jetzt konnten wir auch endlich erkennen, wie der Turtle Rock zu seinem Namen kam. In dem Park gibt es viele berühmte Felsformationen, die nach ihren eigentümlichen Formen benannt wurden. Die neu aufgestellten Schilder waren uns bei der Orientierung keine Hilfe. Auch die Wanderkarte, die wir aus dem Hostel mitgenommen hatten, brachte uns nicht weiter. Wir mussten uns an die große asphaltierte Straße halten, um den Weg zum Dorf Terelj, das am gleichnamigen Fluss gelegen ist, zu finden. Dadurch machten wir einen sehr großen Umweg und hatten leider keine Zeit mehr, tiefer in den nicht erschlossenen Teil des Naturschutzgebietes vorzudringen. Immerhin konnten wir die unberührte Flusslandschaft im Tal erkunden, in Europa wurden diese Art von Auwälder und -wiesen fast überall restlos zerstört. Umso schöner war es, sie dort unverändert vorzufinden, obwohl wir leider auf dem Weg mehrere wilde Müllkippen entdeckten. Der größte Teil des Terelj war zugefroren. Wir wagten uns vorsichtig auf das Eis, es trug uns sehr gut. Dort wo die Strömung nicht so stark ist, war die Eisschicht so dick, dass die Einheimischen sich trauten, mit ihren Autos darauf zu fahren. An manchen Stellen, wo das Wasser etwas schneller und turbulenter floss, knackte das Eis verdächtig unter unseren Füßen. Es machte wirklich Spaß sich halb schlitternd, halb laufend einen Weg über das Eis zu suchen. Manchmal endeten wir in einer Sackgasse, der Fluss tauchte plötzlich unter dem Eis wieder auf und die Ränder wurden zu dünn, um darauf weiterzugehen. Dann drehten wir um und nahmen den Trampelpfad am Ufer entlang durch den Wald.

Es war schon Nachmittag, als wir uns endlich auf den Rückweg machten. Uns wurde bewusst, dass wir den weiten Weg zu unserem Lager nicht vor der Dunkelheit schaffen würden. Ich ärgerte mich etwas, dass ich meine Stirnlampe nicht mitgenommen hatte. Aber ich muss gestehen, dass ich nicht erwartet hatte, so lange unterwegs zu sein. Wir folgten wieder der Straße, die auf dem Hinweg schon nicht sehr interessant gewesen war. Als kleine Ablenkung erfanden wir eigene Namen für sehr prominente Felsformationen. Dabei entdeckten wir auch den "lesenden Mönch", den wir von der anderen Seite kommend nicht erkannt hatten. Plötzlich wurde unsere eintönige Wanderung von lauten Rufen unterbrochen. Etwas irritiert blickte ich mich um und entdeckte im verschneiten Tal unterhalb der Straße zwei Hundeschlitten. Sie fuhren die Strecke immer wieder auf und ab, anscheinend um zu trainieren.

Es dämmerte mittlerweile schon. Um den Sonnenuntergang besser beobachten zu können, stiegen wir auf eine Anhöhe und wurden mit einer fantastischen Aussicht belohnt. Wir hofften von dort oben eventuell auch eine Abkürzung in unser Tal zu entdecken, aber sahen nichts. Im Dunkeln wollte keiner von uns das Risiko eingehen, einen anderen Weg auszuprobieren. So ging es immer weiter an der Straße entlang. Kurz vor dem Ziel, als wir schon von der asphaltierten Straße auf den Schotterweg abgebogen waren, hielt ein Auto neben uns. Es waren unsere Gastgeber, sie dachten wir hätten uns verlaufen und waren auf der Suche nach uns. Ich war unendlich dankbar, die letzten Kilometer nicht mehr laufen zu müssen. Wir haben an dem Tag über 30km zu Fuß zurückgelegt.

108 mal "Om Mani Padme Hum"

Als ich aufwachte, glitzerte draußen die Luft. Es waren winzig kleine Schneeflocken, die vom Himmel fielen und wie Staub alles mit einer hauchdünnen Schicht überzogen. Ganz in der Nähe unseres Gers befand sich ein kleines Kloster, das man besichtigen kann. Das war ein perfekte Ziel für mich. Ich hatte nach dem gestrigen Abenteuer keine Lust, schon wieder so viel zu laufen. Da unsere Englisch sprechende Gastgeberin mit ihrem Mann nach Ulaabaatar gefahren war, mussten wir uns mittels Gesten verständigen. Es bestand die allgemeine Besorgnis, dass wir uns wieder "verirren". Deshalb wurde uns bedeutet, wir sollten bloß nicht zu weit weg gehen, es würde bald Mittagessen geben. Das Vertrauen in unsere Fähigkeiten war anscheinend unwiederbringlich verloren. Wir bekamen eine Art Babysitter, der uns bis in Sichtweite des Klosters brachte und uns genaue Anweisungen gab, wie wir den Weg zurück fänden. Dabei waren wir nur eine gute Viertelstunde von unserem Lagerplatz entfernt.

Das Kloster liegt hoch oben an einem Hang, von dem aus man das gesamte Tal überblicken kann. Der Weg dorthin wird auf einer Seite gesäumt von 72 Schildern, auf denen 144 buddhistische Lehren vermerkt sind. (Wobei ich mir ziemlich sicher war, ein paar zweimal gelesen zu haben.) Er soll nicht einfach nur zum Tempel führen, sondern auch der Meditation und Besinnung dienen. Den Schluss bilden 108 Stufen, die zum Eingang des Aryapala Tempels führen, um den 108 Gebetsmühlen angeordnet sind. Jeder der hier herkommt soll 108 mal das in den Stein gemeißelte Mantra des Aryapala "Om Mani Padme Hum" lesen. Mir hat die Stimmung an diesem besonderen Ort sehr gut gefallen und ich habe mir viel Zeit für den Aufstieg gelassen, um sie auf mich wirken zu lassen.

Als wir zurück kamen, wurden gerade frische Khushuur für uns gemacht. Das sind mit Fleisch gefüllte Teigtaschen. Wir durften dabei zu sehen, wie die alte Dame den Teig geschickt ausrollte und befüllte, um ihn dann in heißem Fett aus zu backen. Es sah wirklich genauso aus wie auf dem Bild in meinem Reiseführer.

Am nächsten Morgen saßen wir im Bus zurück in die Stadt. Meine Vorfreude auf ein warmes, weiches Bett und eine heiße Dusche war sehr groß! Worauf man sich in Ulaanbaatar außerdem noch freuen kann, schreibe ich beim nächsten Mal...

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Kommentare: 2
  • #1

    Sabine I (Freitag, 04 Dezember 2015 09:58)

    Hallo Sabine II,
    Es ist schon faszinierend was du alles erlebst, während ich in alten Deutschland hocke

  • #2

    Jochen (Mittwoch, 09 Dezember 2015 16:15)

    Hi Sabine ! Das Kloster ist ja wirklich sehr schön. Da kann schon mal eine ganz eigene Stimmung aufkommen. Eindrücke und Gefühle merken für später wenn du wieder daheim bist.

    Liebe Grüße
    Jochen